Lipödem, Lymphödem und Adipositas im Fokus – Ein Gespräch mit Dr. Weil
Ein Gespräch mit Dr. Weil über Herausforderungen, Therapieansätze und neue Leitlinien
myKompriGUIDE: „Mit welchen häufigen Beschwerden oder Anliegen kommen Lipödem-, Lymphödem- oder Patienten mit Adipositas?“
Dr. Weil: „In der Regel kommen die immer mit Bein- oder Armschmerzen zu mir.
Sie geben dann Druck- oder Schweregefühl an und können sich nicht richtig gut bewegen. Das belastet sie, und das ist so das Hauptanliegen an mich. Patienten ohne Schmerzen kommen nicht zu mir.“
myKompriGUIDE: „Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Patienten mit Lipödem, Lymphödem und Adipositas, die unterschätzt werden?“
Dr. Weil: „Also, erstmal muss man wissen: Das sind ja eigentlich ganz normale Patientinnen, wie andere Patienten auch. Also das sind Frauen, die stehen mitten im Leben. Ich habe jüngere Patienten, aber auch Frauen im mittleren Alter oder ältere Patienten. Die haben erstmal auch so die normalen Themen, die jeder Mensch hat. Das ist manchmal Familienplanung oder Beruf, Alltag, manchmal Pflege von Angehörigen, aber auch irgendwann Kinderwunsch, Verhütung – und das wird alles immer im Kontext von Lipödem gesehen.
Viele Patientinnen fühlen sich da auf der Ebene auch nicht gut beraten, weil man dann halt praktisch vielleicht die Erkrankung einfach immer so abtut. Ein weiteres Problem bei den Patienten ist, wenn sie aus der ländlichen Region kommen, dann haben sie die Schwierigkeiten, wenn wir eine Therapie anfangen, da entsprechende Angebote zu finden – dass dann halt zum Beispiel, wenn es Richtung Rehasport oder Aquasport geht, Lymphdrainage, Kompressionsversorgung –, dass es da einfach nicht so viel vor Ort gibt, was sie aufsuchen können.
Das macht es dann halt schwierig von der Therapie. Und was auch so seit Corona ist, ist auch einfach, dass zum Beispiel ganz viele Wassersportangebote wegen der Energiekrise und ja, durch die Entwicklungen, eingestampft worden sind und dass die Patienten dann einfach nichts finden.“
myKompriGUIDE: „Was können Sie aus den Erfahrungen Ihrer Patientengespräche unseren Zuhörern mitgeben, wie sie positiv mit der Diagnose in die Zukunft schauen können?“
Dr. Weil: „Also, wenn sie beim Erstkontakt zu mir kommen, sind viele Patienten schon sehr traurig und deprimiert wegen der Diagnose. Aber es ist erstmal wichtig zu wissen: Lipödem ist eine Erkrankung, aber kein Mensch ist diese Erkrankung. Also man kann gut mit dieser Erkrankung leben. Ich habe sehr viele erfolgreiche Frauen, die mitten im Leben stehen, die diese Erkrankung haben, aber gut managen können. Ein Thema ist auch immer der Schmerz – der Schmerz ist behandelbar, der kann verbessert werden, und viele können das auf so ein Niveau runterkriegen, dass sie wieder gut am Alltag teilnehmen können.
Eine weitere große Angst ist immer, dass man in so einem Stadium 3 endet. Das ist aber keine progrediente Erkrankung. Stadium 3 haben eigentlich nicht so viele Patienten, und wenn man das früh genug behandelt, dann kann man da wirklich gut im Leben mitstehen und eigentlich auch alles machen.“
myKompriGUIDE: „Viele Patienten empfinden Kompressionen als zusätzliche Belastung. Was möchten Sie ihnen sagen?“
Dr. Weil: „Ja, also eine Kompression ist dann Belastung, wenn sie nicht richtig ausgemessen ist, wenn man nicht die richtige Stärke hat. Dann ist eine Kompression blöd, weil sie rutscht, nicht gut sitzt. Aber wenn sie gut ausgemessen ist, wenn man gut beraten ist, fühlen viele Patienten, dass das wie eine zweite Haut ist – und da wollen sie die eigentlich auch gar nicht mehr missen.
Es ist auch heutzutage so: Es gibt so viele Hersteller und verschiedene Farben und Formen, auch Modefarben. Also es ist nicht mehr so dieser einfache braune Strumpf. Wenn die Patienten das anziehen, wird das häufig von außen gar nicht mehr gesehen, dass das ein Kompressionsstrumpf ist. Deswegen ist da eine gute Beratung unerlässlich, und dann kann auch eine Kompression wirklich einen guten Benefit für die Patienten haben.“
myKompriGUIDE: „Im Zusammenhang mit Lipödem und Lymphödem wurden kürzlich neue Leitlinien veröffentlicht. Was halten Sie von den Leitlinien, und fühlen sich dadurch Patienten besser gesehen?“
Dr. Weil: „Ja, also Leitlinien sind ja grundsätzlich immer gut. Die geben ja so ein bisschen vor, wie das ärztliche Handeln ist, wonach man sich orientieren kann. Den Patienten ist das eigentlich nicht so bewusst, dass es eine Leitlinie gibt – also das ist eher etwas, was wir Ärzte auf dem Schirm haben. Was ich so ein bisschen schwierig finde in der Umsetzung, ist die neue Leitlinie. Die sagt zum Beispiel, dass es keine Stadieneinteilung gibt, sondern dass halt die Schmerzen und die Beschwerden nicht mit dem Äußeren korrelieren.
Aber momentan ist es noch so – ich weiß jetzt nicht, wie das angepasst wird –, dass es drei ICD-Codes für Lipödem gibt, Stadium 1, 2, 3. Also muss ich trotzdem noch eine Bewertung vornehmen, und es ist schon auch, sage ich mal, von dem, was man verordnen kann für die Patienten, ein Unterschied, ob man jetzt ein Stadium 1 oder ein Stadium 2 hat. Was auch bei der Leitlinie, sage ich mal, ein bisschen schwierig ist: Es wird eigentlich nur der Lipödem-Schmerz da beschrieben, aber die Realität sieht so aus, dass die Patienten häufig kombinierte Schmerzen, Tumore haben.
Also das ist dann so, dass die dann praktisch manchmal auch ein Rheuma dazu haben, orthopädische Erkrankungen, diabetische Polyneuropathie – und das gilt es dann auch herauszuarbeiten als Arzt, dass man dann herausfindet, wo rührt jetzt genau der Schmerz her, dass man dann den Patienten richtig behandelt und nicht einfach alles auf das Lipödem zurückführt. Und dann wird ja auch ein großer Teil dem Selbstmanagement eingeräumt. In der Leitlinie ist das auch richtig, aber es wird sehr vage und schwammig gehalten.
Und das ist dann halt wieder von uns Ärzten die Aufgabe, das eigentlich mit dem Patienten klar zu formulieren, dass er auch weiß, was er zu tun hat. Weil sonst sind das einfach nur Begriffe, die nicht mit Inhalt gefüllt sind.“
myKompriGUIDE: „Sie arbeiten mit einem Stufenkonzept in Ihrer Therapie. Können Sie erklären, was das bedeutet und wie das dem Patienten hilft?“
Dr. Weil: „Ja, also für mich ist die Erstuntersuchung eigentlich der wichtigste Baustein. Da nehme ich mir dann auch wirklich Zeit für den neuen Patienten. Da wird erstmal eine genaue Anamnese erhoben, auch zur Krankheitsgeschichte, aber auch: Wie lebt der Patient? Was macht er beruflich? Wie sieht die familiäre Situation aus?
Dann werden auch biometrische Daten erhoben. Das heißt, das Gewicht, sowie Beine und Arme werden ausgemessen, aber auch Hüfte und Taille. Dann ist auch für mich wichtig, dass man noch einmal andere Erkrankungen abgrenzt. Besteht zusätzlich noch eine Borreliose oder bei älteren Menschen eine pAVK? Und von diesem Grundkonzept ausgehend machen wir mit den Patienten gemeinsam einen Plan, was wir erreichen wollen, was realistisch ist.
Dann sehe ich den Patienten etwa in drei bis sechs Monaten wieder, und dann schauen wir, was er erreicht oder nicht erreicht hat, und versuchen da wieder motivierend weiter voranzugehen.
Bei schweren Fällen, wenn also richtig auch eine schwere Stauung vom Gewebe da ist, dann macht das auch Sinn, manchmal mit einer intensiven Entstauung zu starten. Das geht eigentlich jetzt so hier in den Rahmenbedingungen nur im Rahmen einer lymphologischen Reha. Also versuchen wir erstmal, eine Reha zu beantragen und machen danach weiter.“
myKompriGUIDE: „Was wünschen Sie sich für die Zukunft in der Behandlung und Betreuung Ihrer Patienten?“
Dr. Weil: „Ich wünsche mir für die Patienten, dass es wirklich mehr ambulante Angebote gibt – also insbesondere, was Reha und Abbausport betrifft. Wenn die Diagnose gestellt ist, dass man die auch schneller einer Therapie zuführen kann, dass sie schneller entstaut werden von der Lymphdrainage her, dass man sie an ein Sportangebot anbinden kann, dass sie eine richtige Kompressionsversorgung finden. Und da ist dann auch wichtig, dass die Patienten gut vernetzt sind. Da ist es dann auch gut, wenn es solche Strukturen wie My Kompri Guide gibt, dass die Patienten dann einfach auch einen Leitfaden an der Hand haben – wo können sie hingehen und was können sie machen. Weil je informierter der Patient ist und je mehr Angebote es gibt, umso schneller kann man aus der Schmerzsituation herauskommen.“
myKompriGUIDE: „Zum Abschluss: Viele Patienten entscheiden sich ja für eine Liposuktion. Was ist danach wichtig, um den Erfolg beizubehalten?“
Dr. Weil: „Also danach, aber auch davor, ist wichtig, dass man, finde ich, erstmal viel über die Erkrankung lernt, dass man auch erstmal eine gute Entstauung hinkriegt und es so versucht. Ich habe viele Patienten, die dann auf einem so guten Niveau sind, kaum Schmerzen haben, dass erstmal die OP hintenangestellt ist.
Wenn dann noch die OP da ist, dann sollte man auch danach nicht denken, dass man dann gesund und geheilt ist. Auch nach der OP tritt noch viel Schwellung auf, und auch der Sport, die Ernährung ist weiterhin wichtig, damit man das OP-Ergebnis gut halten kann. Ich habe die Patienten auch bei mir in der Nachbetreuung – vielleicht ein bisschen weniger, und ich sehe die dann nur einmal im Jahr –, aber dann wird immer noch geguckt, ist eine Kompression erforderlich und ob nochmal entstaut werden muss.“
myKompriGUIDE: „Wie bewerten Sie die G-BA-Entscheidung zur Liposuktion?“
Dr. Weil: „Also erstmal ist diese Entscheidung zu begrüßen, da jetzt auch Patienten mit dem Stadium 1 oder 2 einer Operation zugeführt werden können. Ich habe auch viele Patienten, die nur Stadium 2 haben, aber wirklich sehr viele Beschwerden, die man jetzt konservativ nicht lindern kann. Aber wenn man genau guckt, was der Entscheid sagt, ändert sich auch nichts an der Grundeinstellung. Man muss also weiter auf das Gewicht achten, auf den Sport, und die Kriterien sind doch eng gefasst, dass nicht jeder ganz schnell und leicht operiert werden kann.“
Vielen Dank für das tolle Interview, Frau Dr. Weil!
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Der Beitrag von Fr. Dr.Weil na ja nix was wir Betroffene nicht schon wissen. Hätte es mir ausführlicher gewünscht evtl.genauere Info zur Behandlung ect. Was für mich aber noch schlimmer war ist die Minischrift des Beitrages und nicht vergrößerbar. Und graue Schrift auf weißem Grund sehr schlecht zu lesen. Alle eure Beiträge sind so. Warum?
Hallo Christine, vielen Dank für dein Feedback! Wenn du konkrete Fragen zum Thema Liposuktion hast, lass sie uns gerne wissen, dann können wir sie in eines unserer nächsten Interviews mit aufnehmen.
Die Schriftgröße kannst du in vielen Fällen direkt an deinem Computer anpassen. Probier dafür gerne die Tastenkombination „Strg“ und „+“ aus.
Dein Hinweis zur Lesbarkeit der Schriftfarbe ist sehr hilfreich. Wir nehmen das Thema intern mit auf und besprechen es. VG dein myKompriGUIDE Team